Stadel Haberstal bei Windlach (ZH) - Nördlich Lägern NL-6

Hardrütenen bei Zweidlen (ZH) - Nördlich Lägern NL-2

Isenbuck/Berg bei Marthalen (ZH) - Zürich Nordost ZNO-6b

Riedmatt bei Villigen (AG) - Jura Ost JO-3+

Zwischenlager für atomare Abfälle Zwilag Würenlingen (AG)



Missing Solution

Fotografie (analog) in Leuchtkästen, Text * 2019


Wir alle konsumieren Tag für Tag Strom. Unsere Gesellschaft ist wie keine vorhergehende von elektrischer Energie abhängig. Die Atomindustrie, die ihren Siegeszug mit der kommerziellen Nutzung von Atomkraftwerken in den 1960er-Jahren antrat, versprach eine verheissungsvolle Zukunft. Atomenergie war damals gleichbedeutend mit einer sauberen, sicheren und nahezu unbegrenzt verfügbaren Energiequelle.

Heute wissen wir alle um das Problem der radioaktiven Abfälle, die in Atomkraftwerken entstehen. Atomarer Müll verschwindet nicht. Man kann ihn nicht unschädlich machen. Radioaktive Strahlung lässt sich weder fühlen, sehen noch riechen, aber hochradioaktiver Abfall bleibt für 33‘000 nachfolgende Generationen gefährlich. Er strahlt noch fast eine Million Jahre. Die Frage nach der sicheren Entsorgung von atomaren Abfällen betrifft uns alle − sie bleibt aber bis zum heutigen Tage ungelöst und überfordert uns. Auch die Schweiz hat dieses Problem. Der Müll lagert entweder in den Kernkraftwerken selbst oder seit 2000 im Zwischenlager im aargauischen Würenlingen.

Nördlich Lägern, Jura Ost oder Zürich Nordost − in einer dieser Regionen soll es in 50 bis 60 Jahren ein Endlager geben. Sie sind im aktuellen Auswahlverfahren der Bundesbehörden. Wo genau das Endlager sein wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar; Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) begann letzten Herbst in den Gebieten mit Testbohrungen. Ich habe in den besagten Regionen diejenigen Standorte visuell eingefangen, welche bereits heute als Eingang für ein künftiges Endlager festgelegt worden sind. Stadel Haberstal bei Windlach und Hardrütenen bei Zweidlen (Nördlich Lägern), Riedmatt bei Villigen (Jura Ost) sowie Isenbuck/Berg bei Marthalen (Zürich Nordost) − es sind unverdächtige ländliche Orte, an denen zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts auf ein künftiges atomares Endlager hindeutet.

Bis die Anlagen wirklich stehen, dauert es noch Jahrzehnte: Der abschliessende Standortentscheid des Bundesrates wird für 2029 erwartet. Sagen auch Parlament und Volk ja zu diesen Vorschlägen, könnte das Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle etwa 2050 und jenes für hochaktive Abfälle etwa 2060 in Betrieb genommen werden.

Niemand ist freiwillig bereit, ein Endlager für Atommüll vor seiner Haustür zu akzeptieren. Hier offenbart sich das grundlegende Dilemma der Kernenergie, das uns alle betrifft: Egal, ob man für oder gegen Atomenergie ist, der Abfall muss irgendwann irgendwo entsorgt werden. 33‘000 Generationen nach uns werden mit dem Atommüll leben müssen − ob sie wollen oder nicht. Diese zeitliche Dimension übersteigt unser Vorstellungsvermögen, doch etwas scheint sicher: Es gibt keine Garantie dafür, dass über einen Zeitraum von mehreren hunderttausend Jahren an einem bestimmten Ort eine politisch stabile Gesellschaft existiert. Wir alle wissen nicht, was in dieser Zeit mit den vergrabenen atomaren Abfällen geschehen wird. Es gibt keine abschliessende Lösung.

Ausstellungsansichten * Gruppenausstellung Serendipity II, Kunstraum Reaktor, Zürich, 02. bis 24. Mai 2019

5 Leuchtkästen aus Holz, 81cm x 81cm * Inkjet-Print auf Fine Art-Papier für Leuchtkästen, Beleuchtung mit LED-Stripes innwendig
Wandtext, 74cm x 99cm * Inkjet-Print auf Recyclingpapier
Hintergrundinformation zum Thema Schweiz und Atomenergie * A4-Faltblatt zum Mitnehmen

Hintergrundinformationen
● Es gilt heute als internationaler Konsens, dass radioaktive Abfälle zur Endlagerung tief unter der Erde in Granit, Salz oder Ton (Wirtsgesteine) eingeschlossen werden sollen. Das weltweit erste Endlager für hochradioaktive Abfälle wird voraussichtlich 2023 in Finnland in Betrieb gehen.

● Die Suche für einen geeigneten Endlager-Standort beginnt in der Schweiz 1972 mit der Gründung der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra). Finanziert wird die Nagra von den Schweizer Atomkraftwerken (AKWs); GenossenschafterInnen sind ausschliesslich der Bund und die AKW-BetreiberInnen. Die Nagra forschte an verschiedenen Orten in der Schweiz. Überall da, wo sie Testbohrungen durchführte und eine Region zum potenziellen Standort für ein Endlager erklärte, stiess sie auf Widerstand der betroffenen Bevölkerung.

● Opalinuston betrachtet die Nagra heute als bevorzugtes Wirtsgestein für ein Endlager. Dieses soll in einer Tiefe von 500 bis 900 Meter unter der Erde gebaut werden. Untersuchungen in den frühen 1980er-Jahren zeigten, dass Granit in der Schweiz nicht geeignet bzw. zu wenig homogen ist. 2008 legt der Bundesrat den «Sachplan geologisches Tiefenlager» vor, der ein schrittweises Auswahlverfahren für den Standort des Endlagers verfolgt. Wir befinden uns heute in der dritten und letzten Etappe, die voraussichtlich 2029 mit der Erteilung einer Rahmenbewilligung für ein Tiefenlager durch die Bundesbehörden endet. Aktuell reichte die Nagra beim Bund insgesamt 23 Bohrgesuche ein. Wie viele tatsächlich realisiert werden, ist von den gewonnenen Ergebnissen abhängig. Die Kosten einer Bohrung belaufen sich auf 15 Millionen Franken.

● Die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Atomenergie ist Bundessache. Gemäss Schweizerischem Kernenergiegesetz (KEG) müssen die in der Schweiz anfallenden radioaktiven Abfälle grundsätzlich im Inland entsorgt werden. Das Schweizerische Atomgesetz von 1959 wurde 2005 vom KEG abgelöst.
Das KEG hob die Möglichkeit eines kantonalen Vetos gegen ein Endlager zugunsten eines nationalen fakultativen Referendums auf. Damit kann die Schweizer Stimmbevölkerung in einer Referendumsabstimmung eine Gemeinde zur Errichtung eines Endlagers zwingen.

● Schweizerische AKWs erzeugen rund 40% der inländischen Stromproduktion. 1969 nahm das erste AKW Beznau I den Betrieb auf, es folgten Beznau II (1971), Mühleberg (1972), Gösgen (1979) und Leibstadt (1984). Die Abschaltung von Mühleberg ist auf Ende 2019 terminiert, weil sich ein Nachrüsten für die Betreiberin BKW ökonomisch nicht mehr lohnt. Die Kernkraftwerke sind im Besitze von Energiekonzernen wie zum Beispiel Axpo, Alpiq, oder die BKW. Diese Unternehmen wiederum gehören mehrheitlich den Kantonen und kantonalen Elektrizitätswerken bzw. der öffentlichen Hand.

● Als Folge des Reaktorunfalls in Fukushima 2011 beschlossen im selben Jahr Bundesrat und Parlament für die Schweiz den schrittweisen Atomausstieg bzw. eine neue Energiepolitik (Energiestrategie 2050). Es sollen keine Betriebsbewilligungen mehr für neue AKWs erfolgen. Existierende Kernkraftwerke dürfen gemäss dem Dep. für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) betrieben werden, «solange sie sicher sind».

● 1975 besetzen bis zu 15‘000 Menschen elf Wochen lang den Bauplatz des geplanten Kernkraftwerks Kaiseraugst (das Projekt wurde 1988 eingestellt). Die Aktion markierte den Anfang der Anti-AKW-Bewegung in der Schweiz, und rückte das Problem der radioaktiven Abfälle ins Zentrum der öffentlichen Debatte um die Atomenergie. Sie trug dazu bei, dass 1978 das Atomgesetz um einen Bundesbeschluss ergänzt wurde. Dieser führte die Rahmenbewilligung und den Bedarfsnachweis für den Bau neuer AKWs ein und regelte erstmals die Entsorgung radioaktiver Abfälle. Für die AKW-BetreiberInnen besteht seither eine Entsorgungspflicht bzw. die «Gewähr für die dauernde und sichere Entsorgung und Endlagerung» nuklearer Abfälle. Die bestehenden Kernkraftwerke erhielten die Auflage, diesen Nachweis der «Gewähr» bis 1985 zu erbringen. Die Frist wurde jedoch verlängert, da sich der Zeitplan des Projekts «Gewähr» als illusorisch erwies bzw. nicht fristgerecht erfüllt werden konnte. Betriebsbewilligungen wurden nicht entzogen, alle Kernkraftwerke liefen weiter.

● Seit 1974 transportierte die Schweiz einen Teil ihrer verbrauchten Brennstäbe aus Atomkraftwerken in die Wiederaufbereitungsanlagen von La Hague (F) und Sellafield (GB). Insgesamt exportierte man 1‘100 Tonnen Atommüll dorthin. Die abgebrannten Brennelemente werden in den Wiederaufbereitungsanlagen chemisch in ihre verschiedenen Bestandteile «zerlegt» (95% Uran, 1% Plutonium, 4% Endmüll). Der Endmüll ist hochradioaktiv und wird in flüssiges Glas eingeschmolzen. Ihn musste die Schweiz jahrelang nicht zurücknehmen; es war eine komfortable Art, sich des eigenen Atommülls zu entledigen. Eine entsprechende vertragliche Rücknahmepflicht besteht für die Schweizer AKW-BetreiberInnen erst seit 1992. Das Kernenergiegesetz von 2005 führte schliesslich ein zehnjähriges Moratorium für die Ausfuhr abgebrannter Brennelemente ein. Es wurde 2016 von den eidgenössischen Räten um weitere vier Jahre verlängert.

● Die Rückführungen aus La Hague und Sellafield in die Schweiz begannen 2001. Sie sind seit 2016 definitiv abgeschlossen. Davon unabhängig leiten beide Wiederaufbereitungsanlagen bis heute flüssige radioaktive Abfälle über Rohrleitungen in den Ärmelkanal und in die Irische See.

● Von 1969 bis 1982 versenkte die Schweiz mehr als 5‘000 Tonnen schwach- und mittelaktiven Abfall in Fässern im Nordatlantik oder im Ärmelkanal. Die sogenannte Verklappung war international durch die Londoner Konvention geregelt. 1983 erwirkten spektakuläre Aktionen von Greenpeace und steigender öffentlicher Druck ein zehnjähriges Moratorium. Die umstrittene Entsorgungspraxis wurde schliesslich 1993 international verbindlich verboten.

● Seit 2000 gibt es das zentrale Zwischenlager im aargauischen Würenlingen. Dort werden alle Arten von radioaktiven Abfällen aufbewahrt. Das Lager wird von der Zwilag Zwischenlager AG betrieben, einer Aktiengesellschaft der Schweizer Kernkraftwerk-BetreiberInnengesellschaften. Sie verfügt neben den Zwischenlagern über Entsorgungsanlagen bzw. verarbeitet und verpackt die erhaltenen Abfälle «endlagerfähig».



Literatur zum Thema Schweiz und Atomenergie:
Strahlende Schweiz. Handbuch zur Atomwirtschaft (1999)
BOOS, Susanne * Rotpunktverlag

Wohin mit dem Atommüll? Das nukleare Abenteuer und seine Folgen. Ein Tatsachenbericht (2019)
BUSER, Marcos * Rotpunktverlag * ISBN 978-3-85869-820-9

Atomfieber. Eine Geschichte der Atomenergie in der Schweiz (2019)
FISCHER, Michael * Hier und Jetzt Verlag * ISBN 978-3-03919-472-8

Internetquellen:
* Bundesamt für Energie (BFE): Energiestrategie 2050
* Eidgenössisches Dep. für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK): Ausstieg aus der Kernenergie
* Website Nationale Genossensenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra)
* Nuclear Waste, Blog von Marco Buser & Walter Wildi
* Schweizerische Eidgenossenschaft: Kernenergiegesetz (KEG)
* Website Schweizerische Energie-Stiftung (SES)
* Website Zwilag Zwischenlager Würenlingen AG

using allyou.net